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Ein Flow aus Fragmenten: Nicolas Jaar im Berghain

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Nicolas Jaar wurde nicht von wenigen – inkl. mir selbst – als einer der interessantesten Musiker des Jahres 2011 gelobt. Seine popbildungssatten Elektro-Miniaturen, zu denen man sowohl nachdenken als auch tanzen kann, schienen vielen in eine mögliche Zukunft zu weisen, raus aus dem retro-lastigen Gegenwartsbetrieb.

Nun kam er Mitte Januar nach Berlin und man wollte hören, was sich da live tut. Noch dazu im Berghain, das sich neben seinem Ruf als einem der besten Clubs Europas zunehmend als eine sehr angenehme Konzert-Location etabliert. Zwei Abende mussten gegeben werden. Beide waren ausverkauft, die Schlange derjenigen, die im Berliner Nieselregen auf die Abendkasse hofften, lang.

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Als erster aber steigt Valentin Stip auf die Bühne, einer von Jaars Entdeckungen für sein Label Clown and Sunset.

Im gemäßigten Hipster-Look (eng kariertes Hemd, dunkle Brille, Spitzbart-Ansatz) beugt sich der schmale Kerl aus Montreal über Laptop und Midi-Tastatur, lässt aus dem Grundknistern gesampleter Platten langsam federnde House-Anleihen entstehen. Alles sehr elegant, sehr durchdacht – im Aufbau des Sets, den Samples, den Einsprengseln von Vocals, dem späten Auftritt der Bässe. Manchmal klingt es wie Air, ohne den Kitsch. Dann wieder wie Burial. Dann wie nichts davon.

Für mich ganz klar eine Entdeckung – Stips erste EP „Anytime will do“ möcht ich mit Nachdruck empfehlen!

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Jaar selbst fängt dann nach einer Stunde an. Auch er ist allein auf der Bühne mit Laptop, Keyboard und 50er-Elvis-Mikro. Die Nebelmaschine im Berghain wabert. Die Lightshow kommt allmählich in Fahrt. Auch sein Set fährt sehr langsam an – Klickern, Brummen, morriconemäßige Chimes. Ein paar Stimmen, unverständlich. Erst nach fünf Minuten kommt der Beat. Die Menschen jubeln.

Orgel-Berge türmen sich auf, gefakte Rückwärts-Gitarren, verfremdete Slap-Bässe, sogar Saxophonsoli, verzerrt. Eine Cover-Version von Leonard Cohens „Avalanche“ taucht auf aus Jaar eigenem ‘Tribute’, zieht vorbei.

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Alles was Jaar macht, ist eklektizistisch. Das ist Programm. Jede Struktur bleibt nur ein paar Takte. Beats setzen ein, lösen sich auf. Samples überlagern einander, jagen sich durch die Tracks. In schlechteren Momenten klingt das auch mal, als würde jemand pausenlos am Knopf eines Kofferradios drehen. In guten Momenten verbinden sich die Schnipsel zu etwas, das man so noch nie gehört hat.

Jaars ganzer Auftritt changiert zwischen Konzert und DJ-Set, zwischen Ibiza-Feelgood-Grooves und Slow Piano House aus einer anderen Welt. Das alles ist bei ihm kein Posing, das spürt man ganz direkt. Hier macht einer Musik, der getrieben ist, der keine Einflüsse ausschließt, bei dem jede Idee sofort die nächste erzeugt. Der Mann hat keine Zeit für Wiederholungen, für zu große Sorgfalt oder gar die simplen Bedürfnisse des Dancefloors.

Im Zugabenblock fängt er dann plötzlich an zu singen – ohne Effekte auf der Stimme, ungepitcht. Das macht einen seltsamen Effekt. Als würde jemand durch all die Post-Postmoderne, das Zitierte, Verdrehte, Überschrieben wieder einen Song schreiben wollen. Einfach so, zum Singen unter der Dusche. Und auf eine Art macht genau das die Musik von Nicolas Jaar aus. Es ist eben keine bloße Schreibtisch-Geschichte – es ist auch einfach Pop.

In den letzten Minuten kommt dann, wie zum Beweis, noch Marvin Gayes „I Heard It Through The Grapevine“ dahergeflogen, und zwar nicht als Retro-Zitat. Es reit sich vielmehr ein in Jaars Flow der Fragmente. Hier nutzt jemand schlicht und ergreifend die Vergangenheit um die Zukunft zu erfinden.

Und Schluss. Der Kunstnebel verzieht sich. Was bleibt ist das Konzert der leeren Flaschen, die die große Metalltreppe im Berghain runter poltern. Wie eine Hommage.

 

(Foto: Nicolas Jaar and Band live at Rex Club, Paris, (c) The Arches)


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